... leben!


... in diesem Sinne wünsche ich ein unvernünftiges, leidenschaftliches Wochenende!

Grenzen ...



Ein ums andere Mal reibe ich mir verwundert die Augen. Da steht am Beginn des Strandweges unübersehbar: „Nur für Fußgänger. Fahrradfahrer bitte absteigen.“ Und trotzdem ich kann ich mich bei Spazierengehen vor Radfahrern kaum in Sicherheit bringen.

Und ich staune nicht schlecht, als ich einen älteren, gut gekleideten Mann sehe, der sich durch eine Lücke im Zaum in den Schlosspark drängt. „Ich habe ja eine Karte“, sagt er entschuldigend, als er sich ertappt fühlt. „Aber so geht es etwas schneller.“

Und manchmal ertappe ich mich auch selber und übersehe mal geschwind die rote Fahrradampel. Ich gefährde ja niemanden.

Die Lust zu kleinen Grenzüberschreitungen entspringt häufig keiner Notwendigkeit. Sie ist eher ein Anflug Protest dagegen, dass da Grenzen gesetzt sind, die mir gerade nicht einleuchten.

Am Anfang der Bibel wird von einer ganz zentralen und folgenreichen Grenzüberschreitung berichtet. Adam und Eva haben im Paradies alles, was sie zum Leben brauchen. Nur eine Grenze gibt es, die sie beachten müssen: Von den Früchten eines einzigen Baumes sollen sie nicht essen. Adam und Eva sind nicht angewiesen auf die Früchte dieses Baumes. Sie haben an den anderen Bäumen mehr als genug. Es ist die eine Grenze, die sie stört. Und die sie zum Widerspruch reizt.



Der Reiz der kleinen Grenzüberschreitung – er scheint etwas unausrottbar Menschliches an sich zu haben. Allein, weil die Grenze gesetzt ist, muss ich mich an ihr reiben. Und sie womöglich auch überschreiten.

Für Adam und Eva hat ihr Verhalten am Ende schwerwiegende Konsequenzen. Sie werden aus dem Paradies vertrieben. Zum Menschsein gehört eben dazu, dass ich respektiere, dass mir Grenzen gesetzt sind. Grenzen dessen, was ich kann. Grenzen dessen, was mir gut tut. Grenzen meiner eigenen Möglichkeiten.

Auf der anderen Seite sind nicht alle Grenzen gleich göttlichen Ursprungs – wie bei Adam und Eva. Es gibt auch Grenzen, die ich nicht respektieren will. Und auch nicht respektieren muss. Manchmal wäre es geradezu unsinnig. Oder dumm. Wenn eine Grenze willkürlich ist. Wenn sie jemanden klein machen will. Wenn sie ungerechten Zuständen entspringt. Dann ist mein Mut zum Widerspruch geradezu gefordert.

Aber die kleinen Regeln des Zusammenlebens, die möchte ich respektieren. Und doch auch gelassener bleiben, wenn ich wieder einmal einer Gruppe lustvoller Grenzübertreter begegne.

In der Stille liegt die Kraft ...


Wozu ein Krimi im Fernsehen nicht alles gut sein kann. Mir ist vor kurzem beim abendlichen Fernsehkrimi ein überraschender Satz begegnet, ein Satz wie eine Perle. Zwischen Leichen und menschlichen Abgründen sagt auf einmal ein Verdächtiger zur Polizistin: "Stille ist ein unbezahlbares Juwel." 
 
Der Satz hat sich bei mir festgehakt, auch deshalb, weil er so überraschend kam. Das hätte ich im Fernsehkrimi nicht erwartet. Es ging da um den Chef eines kleinen Handwerkbetriebs. Er hat eine kleine Werkstatt mit ein paar Angestellten, geschäftiges Treiben, ziemlich chaotisch. Sein kleines Büro auch eher unaufgeräumt. Da entdeckt die Kommissarin eine Tür, verschlossen mit einem Vorhängeschloss. Klar wird Frau Kommissarin neugierig. Er soll aufschließen. Er will nicht. Jetzt erst recht. Er gibt nach. Und die Überraschung. Auf einer Staffelei steht ein Bild, ein Stillleben. Er malt heimlich. Nach Feierabend, wenn alle anderen nicht mehr im Betrieb sind. Still und heimlich taucht er ab in eine andere Welt. Und dann zur Erklärung dieser Satz: "Stille ist ein unbezahlbares Juwel." 

Da leuchten seine Augen auf. Für diesen Menschen ist seine Stille die Quelle, die ihn leben lässt. Sie lässt ihn das normale Leben aushalten, schafft einen Ausgleich, für all das, was ihm das Leben zumutet. So findet er sein Gleichgewicht. Beim Malen in der Stille findet er neue Kräfte. "Stille ist ein unbezahlbares Juwel." 

Ich bin sicher, das gilt nicht nur für diesen Mann im Krimi. Viele Menschen klagen, dass das Leben so viel Kraft kostet, dass sie sich oft völlig ausgepowert fühlen. Fertig. Kummer und Ärger in der Familie, bei der Arbeit. Wie oft machen sich Menschen gegenseitig das Leben schwer. Sorgen ums Geld, jeden Tag der neue Versuch, alles unter einen Hut zu kriegen. Oft kommt man sich vor wie ein Bogen, der unter Dauerspannung steht und irgendwann hat man ihn überspannt. Das kann nicht gut gehen. Stille tut gut.
Es ist wichtig, jeden Tag eine kleine Zeitspanne Stille einzulegen. Allen Kram aus der Hand legen, nichts planen, nichts reden, nicht fernsehen, nicht mal was denken. Sich selbst mindestens eine viertel Stunde einfach anhalten. Und so zu neuen Kräften kommen. Indem man ganz nach innen sieht und zum Himmel. Inne halten sagen wir im Deutschen dazu. Damit man jeden Tag einmal spürt. Nein, ich bin kein Hamster in einer Tretmühle. Ich bin ein Mensch mit einer durstigen Seele. Ich kann und darf einfach sein. Da muss ich nicht immer was leisten. Das muss man spüren, einmal jeden Tag, mindestens.

Aushalten hat zwei Seiten ...



… aus meinem Archiv, sozusagen als ‚Nachtrag‘ zum gestrigen Post (Danke übrigens für all Eure lieben Kommentare!):

Aushalten hat zwei Seiten. Seite eins.
Viele Menschen sind mit ihrer Lebenssituation unzufrieden, aber sie bleiben trotzdem einfach stehen, darin hängen. Sie sind nicht glücklich. Aber da es sich doch irgendwie aushalten lässt, fangen sie auch nicht an, etwas zu verändern. Sie nehmen die Unbehaglichkeit der Situation zwar wahr, aber erstarren darin oder resignieren.
Doch so ganz ignorieren lässt sich das nicht. Denn trotzdem erscheint da regelmäßig die Stimme des schlechten Gewissens in ihrem Hinterkopf, die sagt, dass es so nicht weiter geht.
Und irgendwann (manchmal auch wenn es zu spät ist) ist dieses Gewissen so laut geworden, dass sie vielleicht endlich anfangen zu handeln, statt nur auszuhalten.
Von außen scheint es dann leicht zu sagen: Das hättest Du auch früher haben können. Aber die Bequemlichkeit hat mal wieder gewonnen! Doch es ist weniger Bequemlichkeit als Angst vor Veränderung, vor etwas Unbekanntem, Neuen.
Vielleicht ist es eine gute Idee erstmal zu überlegen, was ist es, das mich belastet. Wo in meinem Leben stimmt etwas nicht, bin ich unzufrieden und halte nur aus.
Und dann den Schritt zu wagen, es zu verändern. Es geht nicht immer, sofort sein ganzes Leben komplett umzukrempeln, aber man kann auch einfach einen kleinen Schritt tun. Also zumindest anfangen, sich oder etwas zu verändern.
Rilke sagte: »Man kann gar nicht oft genug das Anfangen in sich wecken.« Rrrrrring …


 Aushalten hat zwei Seiten. Seite zwei.
Wenn eine Situation unangenehm bis brenzlig wird, tendieren viele von uns dazu wegzulaufen, zu fliehen. Dies manchmal im ganz wörtlichen Sinn, aber auch im übertragenen, z.B. durch die Flucht in die Sucht.
Ich kenne das von mir, das ist nicht einfach verreisen, sondern davonlaufen. Unterwegs scheint alles ein bisschen leichter. Keiner stellt Ansprüche an mich und ich muss mich um nichts kümmern. Auf „Reisen“ halte ich mir Probleme einfach vom Hals. Ich habe keine Verpflichtungen – aber auch keine Bindungen. Ich bin nichts und niemandem wirklich nah. Das ist die Kehrseite und die kann sehr dunkel sein.
So habe ich auf meiner Lebensreise gelernt: manchmal muss man etwas auch aushalten können. Einen Schmerz, einen Verlust, Verletzungen. Aber auch Langeweile, Unordnung und eine Unannehmlichkeit. Nur wer auch mal aushält gewinnt.
Und ich habe gelernt, wir können nicht immer nur glücklich sein – und müssen es auch nicht. Das wiederhole ich gern: Wir müssen nicht immer glücklich sein. Es ist in Ordnung, auch mal Dinge auszuhalten.
Und dann im Kleinen sehen, wo ist es gut in meinem Alltag, wo brauche ich nur meine Sichtweise ändern. Sich das Leben schön zu machen, statt wegsehen  – aushalten, statt abhauen.