Flashback … oder: ein Besuch in der Schule



»Die Schule der Kindheit vermittelt nur Wissen – die Schule des Lebens Erkenntnis.« (Helmut Glaßl)

Wenn es um das Thema »Suchtprävention« geht, bin ich immer gerne bereit, mich zu engagieren. Denn wenn mit einer Aktion – oder auch nur einem Wort – ein Mensch dazu gebracht wird, z.B. das nächste Bier stehen zu lassen, dann lohnt es sich. Vor allem wenn es um Jugendliche geht.
Leider werden die vom Freundeskreis gemachten Angebote nur wenig genutzt. Dabei kostet es ja nicht mal etwas – wir arbeiten alle ehrenamtlich.
Umso mehr freuen wir uns dann, wenn sich doch mal jemand darauf einlässt.

»Ein guter Lehrer macht mit Beispielen Schule.« (Rupert Schützbach)

Eine Lehrerin der Anne-Frank-Realschule in Möhringen hat erkannt, wie wertvoll der Bericht eines selbst Betroffenen (Abhängigen) sein kann, um Schülern eine andere Sicht auf den Umgang mit Drogen und Alkohol zu geben. An den sogenannten Inseltagen – bei uns hieß das früher Projekttage – gibt es einen Tag, der komplett dem Thema »Sucht« gewidmet ist. Schüler und Lehrer erarbeiten zusammen verschiedene Gesichtspunkte zum Thema.
Und seit drei Jahren werden wir vom Freundeskreis für Suchtkrankenhilfe eingeladen, unseren Teil dazu beizutragen und in verschiedenen Klassen mit den Schülern zu sprechen, uns ihren Fragen zu stellen.

Am letzten Donnerstag war es mal wieder so weit. Und dieses Jahr klappte es auch, dass ich mitgehe (bisher war es zeitlich immer etwas schwierig). Wolfgang holte mich pünktlich um 20 vor acht ab und trotz Berufsverkehr waren wir 15 min später in Möhringen. An der Schule angekommen stellten wir gleich mal fest, der Lehrerparkplatz ist durch eine große Baustelle ziemlich klein geworden und natürlich voll. Aber wir hatten Glück und fanden in einer Nebenstraße eine Parklücke, so, dass wir nicht zu viel zu spät kamen.

Doch kaum, dass wir den Schulhof betreten hatten, wurden ich mit einem Schlag in die Vergangenheit versetzt: ein Anschiss vom Hausmeister. Er galt Wolfgang. »Auf dem Schulhof ist Rauchen verboten!« ooops … Naja, prinzipiell ist das ja richtig und gut so, aber da haben wir natürlich nicht dran gedacht (ist eben doch schon eine Weile her, dass mit der Schulzeit. Und ganz davon abgesehen, gab es bei uns damals sogar noch – erzieherisch nicht wertvoll - eine Raucherecke).

Schnell finden wir den genannten Treffpunkt. Die Lehrerin begrüßt uns herzlich und bringt uns dann zum Klassenzimmer der 7a. Auch hier werden wir herzlich begrüßt und dürfen ganz vorne Platz nehmen. Also ich gebe es ja zu, der Blick ist ein völlig anderer, ob man nun vorne ist und die Schüler sieht oder in der Schulbank sitzt und (ich gebe es zu, ich war meist eher gelangweilt) in Richtung Tafel schaut.

Mir fällt gleich mal auf, dass sich in den letzten 35 Jahren das Interieur nicht wesentlich verändert hat. Ja, die Schüler sitzen jeder an einem eigenen kleinen Pult (nicht mehr Zweiertische, wie bei uns früher) und die Tafel ist nicht mehr grün und wird mit Kreide beschrieben, sondern sie ist weiß und Textmarker sind die Stifte der Wahl. Und ein Beamer an der Decke zeugt vom technischen Fortschritt. (bei uns bestand die neueste Technik aus Overheadprojektoren und nach Lösungsmitteln stinkenden Kopien in lila Farbe).
An den Wänden hängen – wie eh und je – 'Werke' der Schüler. Und hier zusätzlich – Zeugen der modernen Ratgeber- und sozialpsychologischen 'Wir-haben-uns-alle-lieb'-Zeit – selbstgebastelte Schilder mit Aufschriften wie 'Respekt' oder 'aussprechen lassen' etc. …

… und trotzdem dies Klassenzimmer anders aussieht, als das Klassenzimmer meiner Schulzeit, so kommen in mir doch Erinnerungen daran hoch. Und diese sind nicht wirklich rosarot. Ich gebe es zu, ich bin ungern zur Schule gegangen. Ich war auch nicht besonders aufmerksam und hatte keine besonders guten Noten. Für mich gilt da wohl auch das Zitat von Peter Sirius:

»Mancher hätte in der Schule des Lebens nicht so viel durchzumachen, wenn er die Schule seiner Jugend besser durchgemacht hätte.«

Nun, wenn ich so in die Gesichter der Schüler schaue, Klasse 7a, ist eines sicher, mit dem erhobenen Zeigefinger braucht man nicht zu kommen – das tun wohl auch schon genug andere.
Wir legen los mit der Frage nach dem Alter. Da unsere Schulzeit doch schon ein paar Tage her ist und wir keine Kinder haben, hatten Wolfgang und ich gerätselt, wie alt man in der 7. Klasse ist. Die Schüler sind 12 – 14 Jahre, nur falls es jemandem geht wir mir.

Es sind die ersten zwei Schulstunden und die Schüler scheinen munter. Schnell kommen die Fragen und so entsteht ein guter Dialog. Fragen sind gut, dann wissen wir, was die Schüler interessiert (und was sie interessiert, da hören sie besser zu). Eine klassische Frage ist: Wann hast Du das erste Mal etwas getrunken? Wie lange hast Du getrunken und wieviel? Wieviel Geld hast Du dafür verbraucht? usw. Für die letzte Frage lässt Wolfgang die Schüler ein bisschen rechnen und als dann eine Summe von ca. einer halben Million Euro raus kommt, ist das Erstaunen doch ziemlich groß.

Ruck zuck gehen so die zwei Schulstunden vorbei. Dann ist Pause. Damit wir nicht wieder einen Anschiss kassieren, gehen wir zum Rauchen ein Stück vom Schulhof weg (wäre auch irgendwie kontraproduktiv, wenn wir einerseits den Schüler etwas über Sucht erzählen und andererseits dann mit einer Zigarette dastehen).

»Wahre Lehrer suchen keine Schüler, sie suchen Lehrer.« (Cem Belli)

Es klingelt, die Pause ist vorbei. Jetzt ist die Klasse 7b dran. Außer der Klassenlehrerin sind noch drei weitere interessierte Lehrer dazu gekommen. Das finde ich gut, denn so kommen die vielleicht auch ein wenig aus der grauen Theorie.
Schnell entsteht auch hier ein Gespräch über das Thema »Sucht«. Gleichwohl es diesmal eher die Lehrer sind, die uns Fragen stellen. Ich versuche diese so zu beantworten, dass sie trotzdem in der 'Schülersprache' verständlich bleiben. Nicht immer ganz einfach, wenn man, wie ich, nie mit Jugendlichen zu tun hat. Aber es scheint zu funktionieren, es bleibt relativ ruhig in der Klasse.

Zwei Schulstunden, dann ist wieder Pause. Aber diesmal kommen wir nicht dazu, ein bisschen nach draußen zu gehen, da die Lehrerinnen uns aufhalten. Sie haben noch Fragen und Anmerkungen. Eine erzählt, dass ihr Vater seit 30 Jahren trocken ist und sehr lange eine Freundeskreis-Selbsthilfegruppe besucht hat. Auch heute noch gäbe es einen engen Kontakt. … Ja, die Welt ist klein. (Und ich nutze die Gelegenheit und verteile noch schnell ein paar meiner Buch-Flyer ;-).

»Lieber sechs Stunden Schule als gar keinen Schlaf.« (Schülerweisheit)

… wobei ich denke in unserem Fall wohl eher: »Lieber die sechste Stunde Schule als gar keinen Schlaf.« Denn in der dritten Klasse (jetzt die 7c) scheinen die Schüler schon etwas matt. Wolfgang versucht mit direkter Ansprache die Schülerin in der ersten Reihe davon abzuhalten einzuschlafen und die Jungs in der letzten Reihe versuchen dem sie überkommenden Schlaf mit 'Blödsinn machen' zu entgehen. Aber dank der Sozialarbeiterin und des Lehrers, die mit im Raum sind, schaffen wir es doch, einigermaßen Ruhe zu halten – und hoffentlich auch das eine oder andere zu vermitteln. 

Dennoch sind alle – inklusive mir – froh, als die Stunde vorbei ist. Wir bekommen noch Schokolade zum Abschied – natürlich ohne Alkohol – und zusammen mit hunderten Schülern strömen wir vom Schulgelände. Und es bestätigt sich wieder, der Mensch erinnert sich eher an die angenehmen Dinge; das Gefühl ist gleich wieder präsent: Schulschluss!

»Im letzten Jahrhundert waren Lehrer noch Lehrer und keine entertainenden Sozialarbeiter.« (Stefan Rogal)

Mein Fazit: Ein anstrengender, aber durchaus gelungener Vormittag an der Anne-Frank-Realschule. Ich wünschte mehr Schulen bzw. Lehrer wären bereit, diesen eher unkonventionellen Weg der Wissensvermittlung zu gehen.
Und, eines ist sicher, ich bin froh, dass ich nicht mehr zur Schule gehen muss.
Last but noch least: Hut ab für die Lehrer. Wo sie früher von mir meist nur unwilliges 'Ich-habe-keinen-Bock-und-alle-Lehrer-sind-doof' bekommen haben, haben sie heutzutage meinen vollen Respekt für das was sie leisten!